Rezension “Marco Polo”

Marco Polo (Hans im Glück)

Wir befinden uns im 13. Jahrhundert und begleiten Marco Polo oder andere Persönlichkeiten (z.B. seinen Onkel Matteo) auf deren Reise von Venedig nach Peking. Während der Reise, auf der man unterschiedliche Wege nehmen kann, errichtet man Handelsposten, besorgt sich Waren, erfüllt Aufträge und mehr. Und wichtig, all das stimmt man optimal auf seine Charakterfähigkeiten ab. Ein zentrales Element, dazu aber später noch mehr.

Schauen wir uns erst einmal das umfangreiche Material an. Der quadratische Spielplan zeigt auf der oberen Hälfte die verschiedenen Reisemöglichkeiten, kleine und große Städte, in denen man Handelsposten errichten kann. Die untere Hälfte zeigt die diversen Aktionsmöglichkeiten, die den Spielern zur Verfügung stehen. Neben dem schön gestalteten Spielplan gibt es aber noch jede Menge andere Materialien: Spielertableaus, 10 Charakterkarten, Münzen, 18 Zielkarten, 31 Stadtkarten, Waren (Gold, Pfeffer, Seide) und Kamele aus Holz, 12 Holzfiguren (3 pro Spielerfarbe), 26 Würfel (5 pro Spielerfarbe + 5 schwarze + einen weißen), 38 Handelsposten (kleine Häuschen), diverse Marker (z.B. Kontorboni, Stadtbonus-Marker, etc.). Die beiliegende Spielanleitung umfasst 16 Seiten. Dazu gibt es noch ein 4-seitiges Beiblatt mit den verschiedenen Symbolen, Erklärungen zu den verschiedenen Charakteren, und mehr. Ach ja, Spielhilfen mit einer Übersicht der Zusatzaktionen und des Spielverlaufs gibt es auch noch für jeden Spieler. Auch eine Schnellübersicht zum Spielaufbau liegt bei. Das ganze Material gefällt mir sehr gut. Die Marker und Plättchen aus Stanzkarton sind stabil, die Karten sind von guter Qualität, alles ist gut durchdacht. Gut gemacht.

Jeder Spieler erhält ein Tableau, einen Startauftrag, zwei Figuren, die Handelsposten und natürlich auch die 5 Würfel in seiner Farbe. Dann erhält jeder Spieler noch 2 Kamele als Startkapital sowie 7 Münzen bzw. jeweils eine Münze mehr (im Uhrzeigersinn nach dem Startspieler). Die Kontorboni und die Stadtbonus-Marker werden zufällig auf dem Spielplan verteilt. Für die erste Partie gibt es für die Stadtbonus-Marker eine Vorgabe. Auch die leeren Felder der Städte müssen nun noch zufällig mit Stadtkarten bestückt werden. Es gibt deutlich mehr Stadtkarten als es freie Plätze dafür gibt. Damit ist Abwechslung in den nächsten Partien garantiert. Außerdem bietet die zufällige Verteilung der Marker und der Karten Potenzial für spätere Erweiterungen. Man darf gespannt sein. Die Aufträge werden in 5 Stapel mit jeweils 6 Kärtchen aufgeteilt. Die übrigen 8 Aufträge bilden einen Sonderstapel. Die Anzahl der Stapel dient auch als Rundenzähler, denn es werden genau 5 Runden gespielt. In jeder Runde wird einer der Auftragskartenstapel benötigt, nach 5 Runden endet also die Partie. Die Münzen und das ganze Material werden bereit gelegt.

Vor dem Start dann noch das wichtigste Element im Spiel: die Auswahl des Charakters. Beginnend beim letzten Spieler (gegen den Uhrzeigersinn) wählt jeder Spieler eine Charakterkarte aus der Auslage aus. Es gibt insgesamt 10 solche Charaktere, doch es werden immer nur “Anzahl Spieler”+1 Karten ausgelegt, bei 3 Spielern also 4 Karten. Nun kennt man ja viele Spiele, in denen man einen Startcharakter hat. Die Fähigkeiten sind meist leicht unterschiedlich, aber nicht so spielentscheidend, dass man sich vor dem Start des Spiels bereits ausgiebig Gedanken machen müsste. Doch hier bei Marco Polo ist das etwas anders. Spätestens nach der ersten Partie wird das ziemlich deutlich. Die Fähigkeiten der einzelnen Charaktere sind so stark, dass man oft sein komplettes Spielverhalten auf diesen Charakter einstellen muss, um gegen die Mitspieler eine Chance zu haben. Hört sich dramatisch an?… ist es auch. Beispiel gefällig: vor jeder Runde würfeln die Spieler ihre Würfel. Die Würfel werden später als Arbeiter (Workerplacement-Mechanismus) eingesetzt zur Aktionsauswahl. Die Augenzahl gibt dabei meist die Qualität der Aktion vor oder bei den Stadtkarten wie oft man die Aktion nutzen kann. Der Charakter “Raschid ad-Din Sinan” kann das Würfeln komplett ignorieren. Ist er am Zug, kann er seine Würfel auf jede beliebige Seite drehen. Ein anderes Beispiel: “Kubilai Khan” beginnt sein Spiel nicht in Venedig, sondern direkt im “Ziel”, also in Peking. Damit sind ihm die dortigen 10 Sondersiegpunkte sicher. Außerdem kann er im Osten des Spielfeldes in aller Seelenruhe die Boni der Felder abgrasen, ist schnell in der Stadt “Sumatra”, welche drei verschiedene Stadtkarten und damit interessante Aktionsmöglichkeiten bieten kann. Wieder ein anderer Charakter, in diesem Fall “Berke Khan”, muss kein Geld bezahlen, wenn er bereits belegte Aktionsfelder mit seinen Würfeln nutzen möchte. Absolut stark, da man normalerweise die Augenzahl des kleinsten gesetzten Würfels in Münzen bezahlen muss, falls man ein bereits besetztes Feld nutzen möchte. Der Clou ist nun, dass wirklich alle Charaktere solche starken und sehr sehr sehr unterschiedliche Fähigkeiten aufweisen. Man muss also vor der Auswahl seines Charakters quasi das Spielfeld erst einmal lesen. Welche Stadtkarten passen zu dem Charakter?… wo reist man am besten entlang?… was wählen die anderen Spieler?… das ist bei “Marco Polo” deutlich wichtiger als man das von anderen Spielen gewöhnt ist. Nach der Auswahl des Charakters erhält jeder Spieler noch zwei Zielkarten, mit denen er bei Spielende zusätzliche Punkte machen kann (wenn er die passenden Städte mit Handelsposten versehen konnte). Dann kann es mit der eigentlichen Partie losgehen.

Wie gesagt, das Spiel verläuft über 5 Runden. Jeder Spieler würfelt seine 5 Würfel. Diese stehen in dieser Runde als “Arbeiter” zur Verfügung. Manche Aktionsfelder benötigen einen einzelnen Würfel, andere Aktionsfelder, z.B. die Hauptaktion “Reisen”, benötigen 2 Würfel. Möchte man Gold auf dem Markt ergattern, dann benötigt man sogar 3 Würfel. Beim Einsetzen der Würfel entscheidet immer der Würfel mit der kleinsten Augenzahl über die Qualität der Aktion. Setzt man z.B. die Würfel “3” und “5” auf die Aktion “Reisen”, dann kann man maximal 3 Schritte reisen. Die Aktion “Reisen” ist übrigens recht teuer. Zum einen kostet die Aktion selbst schon Geld (bei drei Schritten z.B. 12 Münzen). Je nachdem, wo man lang reisen möchte, kommen dann aber noch Kamele oder auch weitere Münzen zum Preis dazu. Je nach Route kann das also ein teures Vergnügen werden. Außer “Reisen” kann man sich z.B. am Markt mit Waren oder Kamelen eindecken, man kann die Gunst des Khans nutzen, man kann neue Aufträge ergattern, man kann Aktionen der Stadtkarten nutzen (sobald man dort ein Handelskontor errichtet hat) oder man kann auch weitere Münzen bekommen. Neben diesen Hauptaktionen kann man vorher oder auch nachher Zusatzaktionen ausführen. So kann man z.B. durch Bezahlung von Kamelen die verfügbaren Würfelaugen beeinflussen. Für ein Kamel kann man z.B. einen Würfel neu werfen. Für zwei Kamele kann man einen Würfel um einen Augenwert nach oben oder unten verändern.

Reihum setzen die Spieler ihre Würfel für Aktionen ein, bis alle Spieler gepasst haben. Das ist i.d.R. dann, wenn sie keine Würfel mehr zur Verfügung haben. So werden also 5 Runden gespielt. Die Spieler bewegen ihre Reisegruppe von Stadt zu Stadt (bzw. auch Oase). Es gibt kleine Städte, die jeweils einen Stadtbonus-Marker zeigen. Hat man dort einen Handelsposten stehen, erhält man in jeder neuen Runde das dort abgebildete Einkommen. Die großen Städte dagegen zeigen Städtekarten mit weiteren – meist sehr interessanten – Aktionen. Hier baut man also seine Handelsposten, damit man später auch diese Aktionen für seine Zwecke nutzen kann. Der Bau der Handelsposten ist aber, wie gesagt, auch für die Erfüllung der Zielkarten notwendig. Diese Siegpunkte sollte man nicht vollständig vernachlässigen. Ansonsten generiert man Siegpunkte über das Erfüllen von Aufträgen. Neben den Siegpunkten bringen die erfüllten Aufträge auch Boni, die nicht uninteressant sind (z.B. Bewegung, Kamele, Auftrag, einen schwarzen Würfel für die Runde, etc.). Wer bei Spielende die meisten erfüllten Aufträge vorweisen kann, bekommt übrigens noch 7 Siegpunkte zusätzlich.

Nach den 5 Runden werden in der Schlusswertung noch einige Punkte vergeben: Punkte für die Zielkarten, Punkte für übriges Geld, die Punkte für Handelsposten in Peking und eben die 7 Siegpunkte für die meisten erfüllten Aufträge. Wer anschließend die meisten Punkte hat, gewinnt das Spiel.

Man muss im Übrigen nicht zwangsläufig nach Peking gelangen, um wirklich gewinnen zu können. Es ist also kein Wettrennen (wer ist zuerst in Peking?). Stattdessen muss man aus den vorgegebenen Rahmenbedingungen (eigene Zielkarten, eigener Charakter, Erfüllen von Aufträgen, ausliegende Marker, Handeln der Gegner) das Bestmögliche rausholen und das machte uns in sämtlichen Partien sehr viel Spaß. Anfangs muss man erst einmal verstehen, dass man seine Spielweise dringend auf den gewählten Charakter abstimmen muss, denn sonst hat man nach der Partie schnell mal das Gefühl, gar nicht viel erreicht zu haben. Nach einigen Partien bekommt man aber ein Gefühl dafür und “Marco Polo” wird von Partie zu Partie interessanter. Auch als Zweierpartie macht das Spiel sehr viel Spaß, wobei man sich dann nicht so stark in die Quere kommt. Ein Spielmechanismus, bei dem Würfel als Arbeiter eingesetzt werden, das ist nicht neu, passt hier aber sehr gut zum Spiel. Die Möglichkeit, auch besetzte Felder noch nutzen zu können, dann aber gegen Bezahlung der Augenzahl in Münzen, gefällt mir sehr gut. Auch sehr gut gefällt mir der immer wieder neu zusammengestellte Spielaufbau. Es liegen immer wieder andere Stadtkarten aus, die mit interessanten Aktionen locken. Definitiv ein sehr schönes, spannendes und sehr interessantes Spiel.

Immer wieder höre ich Diskussionen über die unterschiedliche Stärke der verschiedenen Charaktere. Ein Spieler schwört auf den einen Charakter, ein anderer Spieler schwört auf den nächsten Charakter. Fakt ist, dass die Stärke des jeweiligen Charakters sehr stark von der Spielfeldauslage (also Stadtkarten, Boni) abhängig ist… und auch von den weiteren ausliegenden Charakteren. Möchte man z.B. “Kubilai Khan” spielen, um im Osten des Spielfelds alles abgrasen zu können, dann kann einem z.B. “Johannes Caprini” schnell in die Quere kommen. Dieser Charakter kann nämlich mit einem Schritt von Oase zu Oase “springen”. Damit ist diese Reisegruppe in kürzester Zeit auch ganz im Osten und macht dem anderen Spieler die Kontorboni streitig. Diese Flexibilität im Spielaufbau. Die vielen verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten. All das macht “Marco Polo” zu einem sehr spannenden Spielerlebnis.

Fazit: man muss sich auf die unterschiedlichen Stärken der Charaktere einlassen, dann findet man in “Marco Polo” ein sehr starkes Spiel für viele spannende Abende… Kaufempfehlung!

(c)2015 Dirk Trefzger

Material

Regeln

Idee

Spielreiz

Wir danken Hans im Glück für die Zusendung eines Rezensionsexemplares!

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